Interkantonales Gymnasium Broye
Payerne
WETTBEWERB: 2001, 1. RANG | 1. PREIS
AUSFÜHRUNG: 2003–2005
BAUHERRSCHAFT: CANTON DE VAUD | CANTON DE FRIBOURG
KUNST: ISABELLE KRIEG
ENERGIESTANDARD: LABEL MINERGIE
Das Gymnasium liegt erhöht am Rande von Payerne, dort wo die ausgedehnte Ebene in die Hügellandschaft übergeht. Hinsichtlich der Komplexität von unterschiedlichen Funktionen erinnert der Schulkomplex an einen eigenen Stadtteil mit einer urbanen Vielschichtigkeit. Das umfangreiche Raumprogramm ist in einem mehrfach geknickten und perforierten Riegel untergebracht. Der grosse Baukörper ist dadurch subtil in seiner Ausdehnung gebrochen, und bleibt ein eigenständiger Bau und unterstützt den semantischen Charakter der Institution. Die Knicke folgen den baugesetzlichen Vorgaben und bilden massgenaue Bezüge zu ihrem Kontext. Der Riegel umfasst einen sich zur Stadt und zum Landschaftspark hin öffnenden länglichen Hof. Der unerwartete Zugang mit seinen Eingängen im Hof bewirkt eine angemessene Introvertiertheit, unterstützt durch die geschlossene äussere Form. So ist es gelungen, den Schulkomplex mit ausgreifender Geste differenziert in den Hang einzupassen, dem Ort eine neue Identität und der Institution Selbstbewusstsein zu geben.
Typologisch betrachtet ordnet sich das Gymnasium zwischen zweibündigem Zeilenbau und Blockgeviert ein. Mit seinen Abknickungen, Durchbrüchen und Ausblicken folgt es aber vielmehr dem pragmatischen Ansatz, den praktischen Bedürfnissen entsprechend, das Raumprogramm unterzubringen: Das Gebäude nimmt über 70 Unterrichtsräume, Gruppenräume, Verwaltung, Bibliothek, Mehrzweckraum, Aula, Mensa und Dreifachsporthalle auf. Die äussere Erscheinung offenbart diese Vielschichtigkeit nicht auf den ersten Blick. Das Konzept folgt einer funktionalen Aufteilung in vier Raumbereiche, jeder mit eigenem Eingang und Foyer. Das obere Erdgeschoss auf Hofniveau nimmt die eher öffentlichen Nutzungen auf, das untere Erdgeschoss und die beiden Obergeschosse beherbergen die Unterrichtsräume. Abgeschlossen wird der geknickte Strang durch die mehrgeschossigen Räume der Aula und Dreifachsporthalle.
Das Rückgrat der Anlage bildet ein knapp 300 Meter langer Korridor, der beidseitig von Unterrichtsräumen flankiert wird. Aufenthaltszonen bilden räumliche Zäsuren mit Ausblicken auf die Umgebung und den Hof. Die Fenster wirken wie ständig wechselnde Bilder und unterstützen die Orientierung im Gebäude.
Die Fassaden aus gestocktem Beton und die anodisierten Fensterrahmen verleihen der kristallinen Härte der Volumetrie eine angenehme Erscheinung. Der sparsam differenzierte und nicht effekthascherische Umgang mit Materialien und Farben im Inneren offenbart sinnfällig Langlebigkeit.
Imagination und Realität: Ein Spaziergang durch die Zeit
BRUNO MARCHAND, PROFESSOR EPFL
LAUSANNE, 30.08.2005
Die Besichtigung eines fertig gestellten Projekts, das in einem Wettbewerb ausgezeichnet wurde, in dessen Jury man selbst einige Jahre zuvor gesessen hat, ist stets interessant, aber auch von einer gewissen Anspannung geprägt. Interessiert und angespannt, weil man dabei gewissermassen «an den Ort des Verbrechens» zurückkehrt, auf der Suche nach Indizien, die bestätigen (oder auch nicht), dass man richtig geurteilt hat und die bewerteten architektonischen Fakten sich auch bei Tageslicht betrachtet als Qualitätsarbeit erweisen.
Es kommt einem Spaziergang durch die Zeit gleich, einem Hin und Her zwischen den Eindrücken an Ort und Stelle und den Erinnerungen an die Juryerinnerungen an Diskussionen, kontroverse Meinungen, mitunter auch an die Entdeckung eines Aspektes, der uns ohne diese Kontroversen wohl entgangen wäre.
Die Sitzungen einer Wettbewerbsjury haben einen ganz eigenen Charakter: Es gilt, die eigenen Empfindungen zu objektivieren, mitunter erste Impressionen beiseite zu schieben, um sie später im Licht des sich nach und nach entwickelnden kollektiven Urteils, anhand dessen schlussendlich ein einziges Projekt als Sieger erkürt wird, nochmals zu überdenken.
Ich erinnere mich daran, dass die Jury von Payerne sich relativ früh einstimmig für ein faszinierendes, aber auch anspruchsvolles Projekt ausgesprochen hatte. Es wies auf den ersten Blick eine sonderbare Form auf, die ich nicht in die vielen Archetypen der Schularchitektur einzuordnen vermochte; eine Form, die mich an gewisse expressionistische Projekte von Hugo Häring oder Hans Scharoun denken liess und die demnach nicht unbedingt mit dem öffentlichen und repräsentativen Aspekt der Schularchitektur in Verbindung gebracht wurde.
Die Form war zwar sonderbar, zugleich aber auch äusserst bestechend in der generierten grossen räumlichen Vielfalt, ihrer Einbindung in den Kontext und ihrem verblüffenden Potential, ein Raumprogramm von aussergewöhnlichem Umfang zu verdichten ohne es zu vertuschen. Und schliesslich auch eine Form, die durch eine klare, beinahe minimalistische Sprache bar jeglicher Rhetorik besonders gut zur Geltung gebracht wurde.
Als ich das beinahe vollendete interkantonale Gymnasium der Broye der Architekten Mattias Boegli und Adrian Kramp besuchte, hatte ich natürlich diese Bilder vor Augen. Ich muss jedoch zugeben, dass mich die Grösse des Gebäudes ziemlich überrascht hat. Dieser Überraschungseffekt wich langsam aber sicher einem Gefühl des «Déjà-vu», dem Eindruck, das Gebäude gut zu kennen und nach und nach fand ich die Merkmale wieder, die mich während des Wettbewerbs begeistert hatten, diese besondere Mischung von Kraft und Schlichtheit.
Vor mir erhob sich ein Gebäude mit einer stark muralen Konnotation, geprägt durch fugenlose Mauern ohne jegliche Gliederung, einzig durchbrochen durch sehr grosse horizontale Öffnungen, die zugleich ihre Repetition, aber auch ihre Einzigartigkeit unterstreichen.
Der Effekt, nach dem bereits das Wettbewerbsprojekt strebte, kam nun noch deutlicher zum Ausdruck: ein Baukörper, dem die geknickten Konturen zwar eine einzigartige Form verliehen, der in seiner Schlüssigkeit jedoch kontextuelle Referenzen einbezog – ein Baukörper, der ausgehöhlt wirkte, um einerseits einen Innenhof als wichtigen Bezugspunkt zu formen, andererseits einen Rahmen für die Landschaft zu bilden und durch dessen geschickte Geometrien stets unterschiedliche Ansichten in den internen Erschliessungen entstanden.
Ich spazierte auf der Baustelle umher und konnte mich von der Effizienz einiger architektonischer Massnahmen überzeugen sowie die Qualität weiterer Räume beurteilen, die ich während des Wettbewerbs weniger beachtet hatte, insbesondere die Turnhallen und deren schöner Schnitt.
Damit kamen unwiderbringlich die Bilder des ursprünglichen Projekts zurück, mein kritisches Urteil trat allmählich in den Hintergrund und der analytische Blick wich für einen Augenblick der poetischen Emotion und der Überzeugung, dass das Gebäude jetzt eine Art eigenes Leben führt, getreu Kahn: «Das Gebäude drückt aus, was es sein möchte».
Dieses Gefühl wurde vielleicht durch den konkreten Besuch an Ort und Stelle angeregt, der von einer Sequenz von Eindrücken beherrscht war, die der Wahrnehmung von Gebautem inhärent ist – die Farbe und die Textur der Materialien im Kontrast mit Licht und Schatten, der kalte Wind, der über den Hof blies, die flüchtigen Gerüche in der Luft usw. Diese Faktoren bewirken, dass das architektonische Objekt «lebt und atmet» und eine spezielle Identität annimmt, zugleich empfindsam und atmosphärisch, ein Phänomen, das im Projektstadium nur schwer fassbar ist.
Die Auseinandersetzung mit der Baustelle und den Anforderungen an die Materialität, die Wahrnehmung der Beschaffenheit der Standorte und deren Atmosphäre sind Dinge, die in der Architektur nicht umgangen werden können. Die Freude an der Imagination und das gleichzeitige Streben nach der Realität und dem Bauakt – eine seltene Chance, die solche Wettbewerbe jungen Architekten bieten.